MARVIN

- Fremd im eigenen Haus -
MARVIN ★★★★
Originaltitel: Marvin ou la belle éducation
Frankreich 2017
Genre: Drama, Queer
Länge: 115 Min.
Regie: Anne Fontaine
Drehbuch: Pierre Trividic
Schnitt: Annette Dutertre
Darsteller: Finnegan Oldfield, Grégory Gadebois, Vincent Magaigne, Catherine Salée, Isabelle Huppert u.v.m.


Marvin Bijoux ist noch ein Kind, als er lernt, was es bedeutet, verstoßen zu sein. Anmutig schön seine Erscheinung, diskret sein Auftreten, wird er von seinem vulgären Umfeld (Schule, Eltern, Geschwister) konsequent verhöhnt, gequält, gemieden. Er wird drangsaliert und bespuckt, niemand in der Familie begegnet ihm mit Achtung oder irgendwie geartetem Interesse. Lediglich die neue Schuldirektorin achtet auf ihn und motiviert ihn, an der Theatergruppe teilzunehmen.
Später sucht Marvin mittels Namensänderung und der Flucht in die große Stadt im Theatermilieu eine neue Welt, die ihm entspricht und ihn auffangen soll. Neue, bessere Bande entstehen, und mit der Unterstützung einer prominenten Schauspielerin gelingt ihm ein erster Durchbruch.

Mittels einer klugen Parallelmontage - der Film springt wie nebenbei und mit großer Selbstverständlichkeit hin und her zwischen der Kindheit des Protagonisten und seiner Zeit als junger Erwachsener, verschmelzen diese beiden Zeitebenen zu einem Raum und es wird klar, dass es Zeit eigentlich nicht gibt, da die Hölle aus Demütigungen in jungen Jahren fest verankert mitgenommen wird in die Zeit, in der es endlich Respekt und Wertschätzung gibt, und in der man alles tut, um sich seelisch frei zu kämpfen. In seiner bitteren Konsequenz erinnerte mich das stark an den Schreibstil von Sibylle Berg... Dass sich all dies transportiert, ist dem ausnahmslos exzellenten Darstellerensemble zu verdanken.

Abgesehen von einem etwas langen Ausklang des Films, der sich keine Ellipse traut, ist die Arbeit dank der Vermeidung jedweden Kitsches eine gelungene und sehr berührende Geschichte über den Wert jedes Menschen.

Unterrichtsrelevant.

cnm

Bemerkenswert, wie sich heute Ignoranz im Netz manifestiert: auf imdb.com heißt es als Zusammenfassung der Handlung dieses Films lapidar: "A young man runs away from his family to become an actor", was die Hauptfigur im Subtext als latent schuldig hinstellt - denn die Familie geht ja bekanntlich über alles.

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