RIEFENSTAHL

RIEFENSTAHL ★★★★☆☆
Filmstart: 31.10.2024 | FSK 12
Archivmaterial Riefenstahl | © Majestic



Deutschland 2024
Genre: Dokumentarfilm
Länge: 115 Min.
Regie: Andres Veiel
Buch: Andres Veiel
Zu sehen/hören: Leni Riefenstahl, Nazi-Prominenz, Freunde, Familie
Sprecher: Ulrich Noethen
Kamera: Toby Cornish
Schnitt: Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer, Alfredo Castro
Musik: Freya Arde

Leni Riefenstahl (1902-2003) ist bekannt und umstritten durch die Bilder und Filme, die sie vor allem während der Nazizeit unter Adolf Hitler produzierte. Die leicht androgyne, faszinierende und energetische Frau war, wie sie selbst sagte, vom ersten Moment an fasziniert von Gestalt und Auftreten Hitlers. Ihre Begabung für die Sprache der (bewegten) Bilder verschaffte ihr Aufträge für Propagandafilme, in denen ausschließlich kräftige, gesunde - vornehmlich deutsche - Körper von einer überlegenen Rasse erzählen sollten (dies streitet sie in Interviews ab). Was war Riefenstahl: Mitläuferin, naive Ahnungslose, Opportunistin, überzeugter Nazi?

Anhand ihres Nachlasses, der aus 700 Kisten von Riefenstahl selbst akribisch sortierter und arrangierter Ton- und Bilddokumente besteht, hat das Team um Produzentin Sandra Maischberger, Regisseur Andreas Veiel und mehreren Editoren -nach jahrelanger Vorsortierung und Archivierung durch das Produktionsteam - in 18 Monaten eine Art Mosaik erstellt, das der Frage nachgeht: wer war und wie schuldfähig war Leni Riefenstahl? Wie konnte es gelingen, hinter die verkrustete Fassade der immer gleichen "Schallplatte", die sie in der Öffentlichkeit zeitlebens routiniert abspielte, zu blicken?

Die audiovisuelle Aufbereitung der Doku ist zum Einen ästhetisch ansprechend, zum Anderen ruhig in (musikalisch subtiler) Vertonung und (gemäßigtem) Schnitttempo. Dies gibt uns Gelegenheit, sehr genau mitzudenken, hinzusehen und nachzuspüren, wie wir uns selbst positionieren. Aufdringliche Polemik wurde uns sinnigerweise erspart... denn diese Frau entlarvt sich selbst! Ihre - teils lächerlichen - Aussagen zum Genozid (Ich wusste das alles nicht, von Rassenideologie war nie die Rede, meine jüdischen Freunde waren doch alle verreist usw.) werden sehr eindeutig durch Fotos, Filme und Briefe aus dem Archiv widerlegt. Das würde im Mindesten bedeuten, dass die begnadete Filmemacherin bewusst weggesehen hat - was auch nicht sein kann, wie spätere Aufnahmen offenlegen. Einer ihrer intellektuellen Tiefpunkte zeigt sich beispielsweise, wenn sie keinen Zusammenhang zwischen Kunst und politischer Verantwortung sehen will; sie hätte, so Riefenstahl im Interview, schlicht Aufträge ausgeführt, da hätte auch Stalin oder sonstwer kommen können.

Mein ganz persönlicher Eindruck ist, dass diese "schlichte Frau" (wie sie sich gibt) etwas Diabolisches, etwas Wahnsinniges ausstrahlt. Denn der liebliche Gestus ihrer Auftritte kippt mehr als einmal ins Beleidigte, gar in ungebremste Ausraster und Abbrüchen von Interviews (für mich ist und bleibt allerdings fraglich, ob diese Momente, zu denen sie kein Einverständnis für eine Veröffentlichung gab, heute gezeigt werden dürfen). Hier bröckelt die Fassade unübersehbar, und wir erkennen die Heuchlerin glasklar.

Kritisch sehe ich am bereits erwähnten Schnitttempo, das bei mir über die gesamte Strecke ab einem bestimmten Punkt zur Ermüdung oder, schlimmer eigentlich, zu einer Art innerer Gemütlichkeit geführt hat. Meine Überzeugung: ein paar mehr Ton-Bild-Verzahnungen und Straffung im Feinschnitt hätten dieser wichtigen Doku eine konstruktive Schärfe gegeben. Der Abschluss des Porträts ist in Bild und Aussage jedoch auf den Punkt gelungen und hallt deutlich nach.

Für den Kanon der derzeitigen cinéastischen Auseinandersetzung mit Nazideutschland als Vergleichsmöglichkeit mit heutigen rechtsextremen Verführungsmechanismen eignet sich Riefenstahl bestens. Es bleibt zu hoffen, dass die Doku nicht nur im Kino ihr Publikum findet, sondern auf längere Sicht auch im Schulunterricht eingesetzt wird. Denn kaum irgendwas ist so gemeingefährlich und antidemokratisch wie blinde Ignoranz in Kombination mit Überlegenheitswahn.

cnm 

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