COME ON, COME ON

Maybe it's all just... bla bla bla
COME ON, COME ON ☆☆
Originaltitel: C'mon C'mon  | Filmstart: 24.03.2022 | FSK 6
Woody Norman, Joaquin Phoenix ⓒ DCM


USA 2021
Genre: ArtHaus, Elegie
Länge: rund 110 Min.
schwarz-weiß, Format 1:1,66
Regie: Mike Mills
Buch: Mike Mills
Cast: Joaquin Phoenix, Gaby Hoffmann, Woody Norman, Scoot Mcnairy, Molly Webster, Jaboukie Young-White, Deborah Strang, Sunni Patterson
Kamera: Robbie Ryan
Schnitt: Jennifer Vecchiarello
Musik: Bryce Dessner, Aaron Dessner

Es ist etwas völlig Anderes, ob man Kinder für einen Radiobeitrag interviewt und sie über ihren Blick auf die Gegenwart und Zukunft Amerikas (und der Welt) befragt, oder ob man sich über Wochen um den eigenen neujährigen Neffen zu kümmern hat. Das Eine ist intensiv, das Andere nimmt einen völlig in Beschlag. Johnny, Radiojournalist von Beruf und seit einer Weile wieder Single, hat überraschend beides gleichzeitig zu managen. Während das Interview-Projekt in vollem Gange ist, ruft seine Schwester Viv an und bittet ihn um Unterstützung. Ihr Mann ist psychisch erkrankt, sie mit der Situation überfordert. Johnny nimmt den kleinen Jesse zu sich und auch mit auf die Tour durch Amerika, zeigt ihm den Umgang mit einem Mikrofon und die Welt des Zu- und Hinhörens. Wir gehen mit auf die Reise: eine umfangreiche Introspektive voller spontaner Gedanken und kleiner Verrücktheiten.

Lange gab es keinen Film mehr, der so literarisch, so frei erzählt und stilistisch an die frühen Woody Allen-Filme erinnert. Leicht vernebelte schwarzweiß-Bilder mit hohem ästhetischen Anspruch, Musik hauptsächlich aus dem Bereich der E-Kategorie (Mozart, Debussy beispielsweise, viele schwebende Klangteppiche, fehlte nur noch Gershwin!), assoziative Schnitte und deutliche Ton-Bild-Versätze (will sagen, zuweilen überlappen Töne aus kommenden oder vergangenen Sequenzen in die gerade laufenden Szenen, oder bleiben Töne bewusst aus) - geben dem Film einen deutlich intellektuellen Anstrich.

Inhaltlich schlittert die Story leicht gedankenverloren und ebenso assoziativ übers epische Parkett, unscharf möchte ich sagen: Bruder und Schwester verloren die Mutter vor einem Jahr, sie hatten sich in der Zeit zerstritten und möchten das nun wieder aufarbeiten. Die Wiedersehensfreude macht es ihnen jetzt leicht, einander zu begegnen. Der Junge fühlt sich bald sehr wohl beim Onkel, hängt an dessen Hosenbein, stellt tausend Fragen, hält ihn nachts wach bis zur völligen Erschöpfung, spielt provozierende Spielchen. Und wie in einem zweiten Spielzimmer, der weitern Baustelle des Films, den Interviews, "kommentieren" bzw. reflektieren die zahllosen Kinder in einem Mosaik aus O-Tönen das Leben und die Welt von heute: unsere psychische und physische Gegenwart, die Hybris der Erwachsenenwelt und die eigene Ohnmacht. Damit gerieren sie sich - das scheint mir beinah das Interessanteste am Film - eindeutig erwachsener als die Erwachsenen selbst, welche den Kindern zwar immer mit Respekt begegnen, sie kaum sichtbar aber doch immer ein wenig zu belächeln scheinen.

"Blaah blaah blaah" kommentieren Onkel und Neffe ihre eigenen Gespräche immer mal wieder, wenn sie herumalbern. Und so kam mir der Film auch selbst immer mal wieder vor, wusste ich kaum je, auf was er eigentlich hinaus wollte. Eine Entwicklung der Figuren war da kaum zu beobachten, der Gestus bleibt eher kontemplativ, meditativ, womit ich andeuten will: gehen Sie gut ausgeschlafen und nach Genuss einer oder zweier Tassen Kaffee in diesen Film, lassen Sie sich fallen, dann wird er vielleicht ein Genuss. Schauspielerisch ist er ohne Frage eins A bedient, quasidokumentarisch, leicht, selbstverständlich.

Zweimal habe ich mir Come On, Come On angesehen, um ihm gerecht werden zu können. Vermutlich ist er - je nach Stimmung und Geschmack - wahlweise eher Sedativum oder Hochgenuss. Den Versuch ist es wert, der Bilder wegen jedenfalls auf größtmöglicher Leinwand empfohlen.

cnm

 

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