DAS STARKE GESCHLECHT

DAS STARKE GESCHLECHT ½
Filmstart: 26.05.2022 | FSK 16
Filmplakat



Deutschland 2021
Genre: Dokumentation
Länge: rund 100 Min.
Regie: Jonas Rothlaender
Buch: Jonas Rothlaender
Interviewte: Hans Boes, Frederik Busch, Erkan Cakir, Oliver Grice, Rick Hübner, Lionel Kreglinger, Florian Seufert, Ivo Stagge, Javid Wunsch
Kamera: Andreas Hartmann
Schnitt: Carlotta Kittel BFS, Kai Eiermann BFS

Jonas Rothlaender führte Gespräche mit vierzig Männern zum Thema Sex. Einige von den Gesprächen blieben als Abschriften, die dann von neun der Männer vorgelesen und reflektiert wurden. Sie bekamen ausreichend Raum, über ihre eigene Sexualität zu sprechen - Schwerpunkt war dabei deren Verhältnis zu Frauen, die Frage nach dem, was gut und gewünscht ist auf beiden Seiten, nach einer Art von Selbstverständnis, einer Interpretation der eigenen Rolle und dem schmalen Grat zwischen dominantem Gebaren als gewollter Praxis einerseits und unerwünschtem Übergriff andererseits. Sex zwischen Männern ist ebenfalls Thema.

Minimalistischer geht es nicht. Alle Interviewpartner sprechen vor pechschwarzem Hintergrund, die Einstellungen sind weitgehend fest, keine Musik gibt die Stimmung vor, der Schnitt ist nicht nur großzügig, nein, zuweilen werden auch lange Schweigemomente oder lange Sekunden des Grübelns, der Ratlosigkeit oder des Bedauerns einfach stehen gelassen. Immer kommentarlos. Jonas Rothlaender fragt neugierig, präzis und dabei nie wertend. Damit gibt er den Männern (und uns) die nötige Plattform, wirklich bzw. ganz ehrlich auf sich selbst und in sich hinein zu schauen. Themen sind u.a. Konkurrenzdenken, der Umgang mit Erwartungshaltungen, Rollenklischees, Potenz und Psyche, Realität vs. Fake, die Frage nach Dominanz und Submission, Geilheit im Kontext zu Liebe und Beziehung... - vor allem aber: Unsicherheiten!

Wirksamer Kunstgriff dieser Doku ist, dass die Gesprächspartner zum Einstieg ins Interview Abschriften der O-Töne anderer Männer einmal leise für sich, dann laut vorlesen (was gut verschachtelt montiert wurde). Dieser Kniff macht sie frei und befeuert sie, über sich selbsst nachzudenken, sich in Relation zu setzen und offener über die eigene Erlebniswelt zu sprechen. So privat, so "nackt" lernen wir eher selten einen Mann kennen. 

Ein jedes wird dieses Dokument für sich anders lesen und darauf reagieren, das steht mal fest. Einige werden heftig nicken, sich selbst erkennen, andere werden sich womöglich echauffieren, verraten fühlen, den einen oder anderen Herrn lächerlich finden. Ich für mich habe herausgelesen, dass das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern kippelt - also durchaus auch Frauen einen dominanten Part haben, wenn sie zum Beispiel ein Stöhnen des Partners als unerwünscht klassifizieren.
Eine dokumentarische Antwort in Form von Interviews mit Frauen fände ich von daher hoch spannend und eigentlich auch zwingend. Die beiden Dokus könnten dann in Dialog treten und mehr Dialog auslösen. Hierzu berichtete mir der Regisseur, dass eine solche Weiterführung des Projekts angedacht sei, aber vorerst pausiere.

Männer reden über Sex - mutig, ehrlich, beinahe entwaffnend. Eine gute Idee, klasse umgesetzt und sehr passend in Zeiten von online-Dating, der Neuordnung von Geschlechterrollen und #metoo. Fortsetzungen dieses Projekt würde ich persönlich sehr begrüßen.

cnm

Nachtrag.
Nach der Preview in Berlin in Anwesenheit der MacherInnen dieser Doku gab es eine Frage-und-Antwort-Runde. Ein Herr fragte tatsächlich, was denn die "Quotenschwulen" in dem Film zu suchen hätten, ob das nötig gewesen sei. - Mein Gedanke dazu: der Fragende hatte womöglich noch nicht mitbekommen, dass Schwule - lese und staune - tatsächlich Männer sind, die - man soll's nicht glauben - Sex haben und darum auch darüber reden können. Die Frage des Herrn implizierte meiner Meinung nach, dass Schwule keine (richtigen) Männer seien. Wenn man bedenkt, dass gerade die hier Angesprochenen die interessantesten und reflektiertesten Aussagen beizusteuern hatten (in seiner Empörung konnte der Fragesteller das womöglich nicht realisieren), erübrigt sich eine ernsthafte Antwort auf die Frage. Wenn es nicht so traurig wäre, dass sich in einer deutschen Großstadt immer noch Menschen geistig in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts aufhalten, wäre dieser Moment amüsant. Ist er aber nicht.

Hier geht's zu meinem mail-Interview mit Jonas Rothlaender.


Die KINOTOUR zum Film:

23.05. BERLIN Sputnik Kino

25.05. MÜNCHEN Monopol

26.05. KÖLN Filmhaus

27.05. BOCHUM Capitol

29.05. BERLIN Klick Kino

30.05. BERLIN Lichtblick

31.05. FRANKFURT Harmonie

02.06. HAMBURG Studio Kino

03.06. BERLIN Bundesplatz Kino

07.06. BERLIN Lichtblick


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