AUSSERDEM IM MAI 2025
Weitere Filme im Mai 2025
DER MEISTER UND MARGARITA | VOLVERÉIS | TRANSAMAZONIA
WO/MEN | CAUGHT BY THE TIDES | ALLE LIEBEN TOUDA
01. Mai
EINFACH MACHEN! SHE-PUNKS VON 1977 BIS HEUTE
Doku / Musikszene | DE/CH 2024
R.: Reto Caduff | Mit Beate Bartel, Sandy Black, Bettina Flörchinger, Gudrun Gut, Christine Hahn, Carmen Knoebel, Bettina Köster, Madlaina Peer, Anja Peterssen, Elisabeth Recker, Sara Schär, Klaudia Schifferle, Martina Weith
Salzgeber & Company Medien | 89 Min. | FSK 6
Punk ist keine flüchtige modische Randerscheinung, sondern eine Überzeugung, ein Lebensstil, eine Art zu sein. Punk entstand Ende der 1970er Jahre und eroberte von London und den USA aus die ganze Welt. "Nicht labern, machen!" war das Motto der Szene. Einige Frauen der Düsseldorfer Musikszene formierten sich zu der Punk-Band Östro 430, in West-Berlin Mania D (später Malaria!) und in Zürich Kleenex (später LiLiput) - sie prägen die Szene. Es entstehen Songs über weibliche Rollenklischees und freies Denken gegen das Spießer-Establishment. Themen sind weibliches Begehren, sexualle Selbstbestimmung. Die Notwendigkeit dieser Art von Musik bzw. Texten ließ sich am direktesten aus den dämlichen Fragen lesen, denen sich die Bands ständig stellen mussten, nämlich: warum eigentlich nur Frauen? - Männern hat man derartige Fragen nie gestellt.
Die Doku ist ein Porträt dieser Frauen, die sich heute, 40 Jahre nach den ersten Bühneneroberungen, wiederfinden und wieder Projekte hochziehen, Konzerte geben - und es fühlt sich für sie an, als hätte die Zeit dazwischen gar nicht existiert. Formal scheint mir die Umsetzung perfekt und dem Geist des Punks so nah wie nur irgend möglich. Ehrliche O-Töne ohne dämliche Zwischenfragen, schmutzig geschnitten und in Super-8-Ästhetik zusammengerotzt, ohne dass Struktur fehlte oder der raue Look zum bloßen Selbstzweck verkäme. Die Botschaft, die Philosophie des Punks, nämlich Verantwortung zu übernehmen für sich und für andere, ist die ganze Spieldauer über spürbar.
Für KennerInnen ein sentimentales Glanzlicht bzw. berauschende Erinnerung daran, dass immer was geht - für Ahnungslose wie mich ein wunderbarer Einblick in eine lebendige Szene, die sich nicht anbiedert oder jemals verbiegen lässt.
DER MEISTER UND MARGARITA
Drama, Mystery | Russland, Kroatien 2024R.: Michael Lockshin | D.: August Diehl, Jewgeni Zyganow, Julia Snigir u.a.
capelight pictures | 157 Min. | FSK 12
Moskau in den 1930er-Jahren: Das Werk eines bekannten Schriftstellers wird vom sowjetischen Staat zensiert und die Premiere seines Theaterstücks abgesagt. Inspiriert von seiner Geliebten Margarita, beginnt er mit der Arbeit an einem neuen Roman, in dem er sämtliche Menschen aus seinem realen Leben in satirisch überspitzter Gestalt auftreten lässt. Im Mittelpunkt steht Woland als mystisch-dunkle Macht, die Moskau besucht, um sich an all jenen zu rächen, die für den Ruin des Autors verantwortlich sind. Während der Meister, wie dieser sich fortan nennt, immer tiefer in seine Geschichte eintaucht, vermag er allmählich nicht mehr zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden.
Das Einzige, was mich an der Umsetzung dieses mephistophelischen Stoffs gestört hat, ist seine Dialoglastigkeit. Denn die Bilder sind stark genug, um auch einmal für sich zu wirken und uns etwas Ruhe zu gönnen. Ab einem bestimmten Punkt verwischt die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion des Autors so konsequent, dass ich aufgegeben habe, den Geschehnissen folgen zu wollen und mich schlicht der fantasievollen und abgründigen Reise einem Rausch ähnlich hingab.
Letztlich nicht wirklich meins, aber auch nicht uninteressant. Ein Film, den man sicherlich mehrmals schauen kann, weil es in ihm so viel zu entdecken gibt.
Basiert auf dem gleichnamigen Roman von Mikhail Bulgakov - dessen bekanntester Arbeit.
Regisseurin Ale und Schauspieler Alex beschließen nach 15 Jahren Beziehung, getrennte Wege zu gehen. Und das muss gefeiert werden, beschließen sie gemeinsam, ganz zur Verwirrung ihres persönlichen Umfeldes. - Diese vermeintliche Dramödie konzentriert sich auf die immer gleichen Dialoge, in denen das Vorhaben Freunden, Familie, Bekannten, Kollegen mitgeteilt wird einerseits und einer zweiten Erzählebene andererseits. Diese wäre der Prozess des Filmemachens. Da sitzt man dann am Schneidetisch und wälzt gestalterische bzw. dramaturgische Problemchen. Die ganze Veranstaltung gibt sich locker-intellektuell und ist in meinen Augen einfach nur quälend langatmig und vollkommen uninteressant, denn die beiden (zugegeben attraktiven) Hauptfiguren bleiben über die gesamte Filmstrecke leere Hüllen, also reine Projektionsflächen.
Ein Tiefpunkt des Kinojahres.
15. Mai
TRANSAMAZONIA
Drama | Deutschland, Frankreich, Schweiz, Taiwan, Brasilien 2024R.: Pia Marais | D.: Helena Zengel, Jeremy Xido, Martin Rosfeldt | Kamera: Mathieu de Montgrand
Pandora Filmverleih | 112 Min. | FSK 12
Rebecca wächst im Regenwald des Amazonas auf, seit sie wie durch ein Wunder als einzige Passagierin den Absturz eines Flugzeugs überlebt hat. Der Vater verkauft sie vor Ort als Wunder und auch als Wunderheilerin; alle glauben daran, sie spielt mit, er profitiert davon. Während die Kämpfe der Indigenen gegen illegale Holzfäller zunehmen, entwächst Helena dem Kindesalter und damit dem stummen Gehorsam gegenüber der Vaterfigur. Sie muss sich nun schwierigen Fragen zu ihrer Herkunft stellen. Ihre Emanzipation von alten Narrativen ist damit unerlässlich...
Auch wenn die Geschichte der Heranwachsenden Rebecca an eigene Erfahrungen der Regisseurin lehnt, wollte für mich kein Sog entstehen, keine Identifikationsmöglichkeit. Allzu verworren mäandern die Dialoge, Figuren und Geschehnisse vor sich hin, bleiben skizzenhaft, will sich kein dichtes Ganzes aus den gegebenen Informationen ergeben. Die Fotografie bietet zwar Kino vom Allerfeinsten, doch hilft das der Story bedauerlicherweise wenig. Darüberhinaus habe ich kaum je einen derart zähen, unbeholfenen Schnitt erleben müssen; hier wären zahllose Patzer vermeidbar gewesen und damit der Film ggf. griffiger geworden. - Transamazonia sollte wohl am ehesten Kino fürs Nischeninteresse sein. Ich kann nicht zu dem Film raten.
WO/MEN
Doku | Deutschland 2024
Original Titel: House with a voice
R.: Kristine Nrecaj, Birthe Templin
Pandora Filmverleih | 84 Min. | FSK 0
Wo/Men erzählt die Geschichten von sechs Burrneshas, die sich aus unterschiedlichen Gründen entschlossen haben, die soziale Rolle von Männern zu übernehmen. Sie haben dies getan, um patriarchale Strukturen zu umgehen, um frauenfeindlichen Übergriffen zu entgehen, um die Familie wirtschaftlich zu unterstützen, um eine Zwangsehe zu vermeiden und vor allem, um frei zu sein. Die Protagonistinnen lassen uns an ihrem Leben und ihrer persönlichen Lebensart teilhaben. Sie sprechen über ihren persönlichen Weg und darüber, wie sie die Geschlechterschranken hinter sich ließen und lassen, indem sie autark entscheiden, wie sie leben wollen.
Die Doku zeichnet sich durch große Besonnenheit aus: hier wird nicht permanent geredet, hier schauen wir den Burrneshas zu, wie sie ihrem Tagwerk nachgehen, mit Freunden und Familie zusammen sind und wie sie zurück auf ihr Leben schauen. Auffällig dabei ist, was für eine tiefe Zufriedenheit sie alle ausstrahlen. Mittels der Gespräche erfahren wir über ihre Entscheidung für diesen Weg oder auch die Geschichte, wie für sie entschieden wurde, weil es keine Brüder gab und so die Aufgabe des "Mannes im Haus" delegiert wurde. - Etwas mehr Information hätte ich schon gut gefunden - etwa darüber ob denn nun alle ohne Begehren leben und in welche Richtung das gehen könnte, ob es unterdrückt wird, inwieweit Anfeindungen stattfanden, ob in jungen Jahren die Brüste cachiert werden mussten und dergleichen mehr. - Ein wenig antiquiert scheint das Lebensmodell heute, wo doch die Frau als stark und gleichberechtigt in der Öffentlichkeit steht. Gleichzeitig wird völlig offenbar, dass dieses wundervolle Ziel noch lange nicht erreicht ist.
Einblicke in vergleichsweise fremde Welten bietet die Dokumentation auf jeden Fall - und Momente in denen man versinken kann, weil sie einen unendlichen Frieden ausstrahlen.
TANZ DER TITANEN
Satire | CA, DE 2024 | OT: Rumours
R.: Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson | B.: Evan Johnson
D.: Cate Blanchett, Roy Dupuis, Denis Ménochet, Charles Dance u.a.
Verleih Plaion Pictures | 103 Min. | FSK 16
Anlässlich der globalen Krise kommen in Dankerode die Regierungschefs der bedeutendsten Industriestaaten für ein Gipfeltreffen zusammen. Bei feudaler Verköstigung und unter Observation der Presse ist eine gemeinsam zu formulierende Absichtserklärung (ähnlich der KSZE) angestrebt. Doch während des ersten lauschigen Abends wird ihnen irgendwann bewusst, dass sie unangekündigt von den Bediensteten verlassen wurden und nun auf sich selbst gestellt sind. Während sie sich fortan mit ungeahnten, absurden Hürden konfrontiert sehen, ist alle Diplomatie gefragt, zu der sie fähig sind.
Was sich liest wie eine vielversprechende, köstliche Satire über politische Augenwischerei, ist m.E. ein so laues wie unentschiedenes Süppchen geworden. Die Figuren bringen kaum Profil oder Eigenleben mit, die Geschichte mäandert wie richtungslos ins Nebulöse, mir schien, die Regie hat die Schauspielenden weitgehend sich selbst überlassen. Dass dies bei einem derart prominenten Cast geschehen kann, ist mir wirklich ein Rätsel. Als gegen Ende die Geschichte noch ins Science-Fiction-hafte driftete (David Lynch winkte quasi von weitem), habe ich tatsächlich die Geduld verloren und den Saal verlassen.
CAUGHT BY THE TIDES
Spielfilm | China 2024 | OT: Feng Liu Yi Dai
R.: Jia Zhang-Ke | B.: Jia Zahng-Ke, Wan Jiahuan
D.: Zhao Tao, Li Zhubin, Pan Lianlin, Lan Zhou u.a.
Verleih Rapid Eye Movies | 111 Min. | FSK 12
Beginnend im Jahr 2001, verfolgt der Regisseur über 20 Jahre lang seine Protagonistin auf der verzweifelten Suche nach dem Seelenverwandten, der sie kurz nach dem ersten Kennenlernen unangekündigt verließ. Diese Reise ist eine Reise durch die Zeit und ein Land mit all seinen kulturellen, soziologischen und politischen Umbrüchen. Viel geredet wird hier nicht, aber die Musik, Augenblicke, technische Details und der soziale Umgang sind dafür umso beredter.
Das Werk ist absolut autark und folgt keinen gewohnten filmischen Gesetzmäßigkeiten. An dieser Stelle muss ich gestehen: das hat mich nicht erreicht. Zu vage die Aktionen, viel zu lang, unnötig lang zahllose Momente, zu lose und in meinen Augen willkürlich die Zeitsprünge. Es muss meinem eigenen kulturellen Horizont geschuldet sein, dass ich hier nicht durchsteigen konnte oder wollte. Womit ich durchschnittlichen Kinogängern abrate, während die Arbeit für das geschulte Auge womöglich ein besonderes Erlebnis darstellt. Ich verweise hier auf eine differenziertere Kritik auf filmstarts.de (Autor: Patrick Fey).
Auszeichnungen:
Sao Paolo International Film Festival 2024 Gewinner Critics Award – Best International Film Valladolid International Film Festival 2024 Gewinner Green Spike
Shanghai Film Critics Award 2024
Filmmaker of the Year Jia Zhang-Ke
ALLE LIEBEN TOUDA
Drama | FR, MA, BE, DK, NL 2024
R.: Nabil Ayouch | B.: Nabil Ayouch, Maryam Touzani
Verleih Immergutefilme | 102 Min. | FSK 16
Die selbstbewusste Touda träumt nur von einem: eine Sheikha zu werden, eine angesehene, traditionelle marokkanische Sängerin, die ihre Kraft aus Texten früherer kämpferischer Dichterinnen schöpft und mit ihren Darbietungen den Körper und die freie Liebe feiert.
Während Touda jeden Abend in den Bars der Provinz unter den lüsternen Blicken der Männer auftritt, plant sie, ihr kleines Dorf zu verlassen und nach Casablanca zu ziehen, wo sie hofft, als veritable Künstlerin anerkannt zu werden und eine bessere Existenz für sich und ihren annähernd taubstummen Sohn zu etablieren. Für eine Weile wird sie also den geliebten Jungen bei den Großeltern lassen, um in der Metropole ihre Fühler auszustrecken. Auch dort wird sie sich gegen Rivalität und Machismus behaupten müssen.
Alle lieben Touda ist wunderschön, beinahe romantisch fotografiert, und diese Form bildet einen krassen Kontrast zur Geschichte, ähnlich wie der Titel des Films nicht 1:1 zu lesen ist, sondern vielmehr wie das Wunschdenken der Protagonistin oder Zynismus, denn hier wird eine öffentlich singende und tanzende Frau - ob nun auf dem Land oder vor einem Publikum der städtischen high society - immer auch als Hure gesehen und auch behandelt: das Scheitern der leidenschaftlichen Frau ist damit programmiert. Alle lieben Touda gibt einen so realistischen wie kritischen Kommentar zum Status feministischen Kampfes in der (marokkanischen) Gesellschaft und hinterlässt einen bewegenden Eindruck. Getragen neben dem insgesamt begnadeten Cast vor allem von der entwaffnend eindringlichen Darstellung der Hauptdarstellerin Nisrin Erradi.








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