ANMASSUNG

ANMASSUNG
Kinostart: 22.07.2021 | FSK 16
Wright, N.N., Kolbe

Deutschland 2021

Genre: Dokumentarfilm
Länge: 110 Min.
Regie: Chris Wright, Stefan Kolbe
Buch: Chris Wright, Stefan Kolbe
Im Zentrum: ein Inhaftierter Straftäter, hier Stefan genannt
Puppenspielerinnen:
Nadia Ihjeij, Josephine Hock
Kamera: Stefan Kolbe
Schnitt: Chris Wright
Musik: Johannes Winde

Stefan (Name ist für den Film geändert) hat vor 15 Jahren eine Frau ermordet, seitdem sitzt er im Gefängnis. Drei Jahre lang versuchen die beiden Dokumentaristen, ihm für ein Porträt näher zu kommen - was ihnen schließlich gelingt. Die Einigung ist die, dass wir sein Gesicht nicht sehen dürfen, und dass er sich als Puppen-Nachbau von zwei Puppenspielerinnen stellvertreten lässt. Außerdem gibt es für seine Teilnahme etwas Geld.

Gleich zu Beginn der Dokumentation halten die Macher programmatisch fest: sie werden nicht ihn dokumentieren, sondern vorrangig die Art, wie sie sich ein Bild von ihm machen. Zu sehen bekommen wir Gespräche mit dem Täter (Gesicht anonymisiert), nachgestellte Interviewsequenzen mittels der Puppe, gesprochen von zwei jungen Frauen, außerdem Off-Kommentare der Macher auf ruhigen Einstellungen mit Gebäuden, Räumen, Fotos. Dabei lernen wir wie durch einen Nebelschleier einen wortkargen Mann kennen, der zu einem analytischen Blick kaum in der Lage oder bereit ist.
 
Der Titel "Anmaßung" fungiert wie eine Vorsichtsmaßnahme, eine vorweggenommene Kritik am Versuch, einen Mörder zu verstehen oder auch nur ansatzweise zu erklären. Dem widerspricht die Absicht, die Herangehensweise mehr auszustellen als den Portraitierten. Das Stilmittel einer Handuppe, die Stefans Kopf als Nachbau trägt, scheint mir eine gute Idee zu sein. Jedoch wird dieser Ansatz immens geschwächt dadurch, dass wir die Stimmen von den beiden spielenden Frauen hören, die die Interviews nachspielen. Weiter gebracht hätte uns wohl eher die Originalstimme des Inhaftierten (die ist ja eh Teil der Doku). Außerdem gibt es nur einen Puppenkopf und damit auch nur einen Gesichtsausdruck: wütend (siehe Bild unten). Die Puppensequenzen sind darüberhinaus zu rar, um den magischen Moment der Identifikation einsetzen zu lassen. Will sagen: letztlich setzen die Macher zu viele Stilmittel und Herangehensweisen ein, und diese nehmen sich gegenseitig den Effekt.

Das merken nicht nur wir, sondern auch die Dokumentaristen selbst: sie bleiben zusehends im Prozess stecken und formulieren das auch in ihren Kommentaren.

Die Grundidee ist in meinen Augen faszinierend und in keiner Weise anmaßend. Jedoch hätte die Umsetzung deutlich stilsicherer, mit einem Mut zur Reduktion aufs Wesentliche ausfallen dürfen. Aber was ist das Wesentliche? - Hannah Arendt postulierte: das Böse (hier: der Mord) ist an sich profan und alltäglich und kann immer und überall und aus jeder Hand erfolgen.

cnm

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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