WIR KÖNNTEN GENAUSO GUT TOT SEIN
WIR KÖNNTEN GENAUSO GUT TOT SEIN ★★★½☆☆
Filmstart: 29.09.2022 | FSK 12 | Debüt
Deutschland 2022
Genre: Dystopie, Metapher, SatireLänge: gut 90 Min.
Regie: Natalia Sinelnikova
Buch: Natalia Sinelnikova & Viktor Gallandi
Buch: Natalia Sinelnikova & Viktor Gallandi
Cast: Ioana Iacob, Pola Geiger, Jörg Schüttauf, Siir Eloǧlu, Moritz Jahn, Susanne Wuest, Knut Berger, Mina Özlem Saǧdiç, Cristin König, Jörg Pose, Rita Feldmeier, Lara-Sophie Milagro
Kamera: Jan Mayntz
Schnitt: Evelyn Rack
Musik: Maxi Menot, Michael Kondaurow
Schnitt: Evelyn Rack
Musik: Maxi Menot, Michael Kondaurow
Da gibt es diese Hausgemeinschaft, ein einzelner hoher Klotz am Wald, einen Solitär, in dem sich mehrere Dutzend streng geprüfte MieterInnen vor der schlimmen "Welt da draußen" in Sicherheit gebracht haben. Durch eine Pforte führt ein Weg durch eine gepflegte Grünanlage dorthin. Hier besteht breiter Konsens in Sachen Umgang und Wertvorstellungen. Wer sich hier bewirbt, darf sich zuvor nichts zu Schulden haben kommen lassen, muss ruhig und anpassungsfähig sein, freundlich lächeln und ausreichend Gemeinsinn mitbringen.
Anna ist die meist am Empfangsschalter sitzende Sicherheitsbeauftragte, die auch den gründlichen Check infrage kommender neuer Mieter durchführt. Leider ereilt sie einiges unvorhergesehenes Pech: der Hund eines Mieters verschwindet spurlos, sie selbst wird aus purem Versehen für eine nächtliche Angreiferin von außen gehalten und ihre eigene Tochter will seit einigen Wochen das Badezimmer nicht mehr verlassen. Anna wahrt tapfer das Gesicht und verbirgt so gut sie kann die Bedrängnis, die Tag für Tag mehr zur existentiellen Angst wird.
In ihrem Debütfilm erzählt Natalia Sinelnikova eine absurd überhöhte und stark stilisierte, ja groteske Geschichte über allgemeine Verängstigung und den Sinn oder Unsinn des Abschottens. Damit ist ihre Arbeit selbstredend eine, die brandaktuell die Gemütslage vieler Menschen angesichts erdrutschartiger Veränderungen in der Welt satirisch widerspiegelt. Die audiovisuellen Mittel ihrer Wahl sind brillant. Unter den streng komponierten, meist statischen Bildern liegt eine erhaben minimalistische Musik, die eine vibrierende Beklemmung erzeugt. Auch stellt sie gut heraus, wie sehr wir uns doch allzu gern auf unsere Fassadentechniken verlassen, während wir innerlich erodieren.
Bedauerlicherweise kann ihre Schauspielführung da nicht ganz mithalten. Wenn von einer hysterischen, isoliert lebenden Hausgemeinschaft erzählt wird, ist die Figurenzeichnung bis in die Komparserie das wichtigste Kapital eines Films (denken wir zum Beispiel an The Killing of a Sacred Deer (Großbritannien, Irland 2017, R.: Yórgos Lántimos), in dem die Angst durch konsequente inszenatorische Kälte erzeugt wurde). In Wir könnten genauso gut tot sein ist die Angst der Einzelnen, die Sinelnikova erzählen will, zwar erkenn- aber weniger spürbar. M.E. wurde hier das Potenzial zu einem wahrlich erschütternden Film verschenkt.
Wir könnten genauso gut tot sein ist ein klaustrophobischer, atmosphärisch bemerkenswerter Film über falsch verstandene Sicherheit, ein bemerkenswerter Ausnahmefilm, dem ich jedoch eine präzisere psychologische Figurenführung sehr gegönnt hätte.
cnm
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