KLEINE SCHMUTZIGE BRIEFE

KLEINE SCHMUTZIGE BRIEFE ★★★★★
Originaltitel: Wicked Little Letters | Filmstart: 28.03.2024 | FSK 12
Olivia Colman | © StudioCanal



Großbritannien, Frankreich 2023
Genre: Komödie, Anekdote, Dramödie, historisch
Länge: 100 Min.
Regie: Thea Sharrock
Buch: Jonny Sweet
Cast: Olivia Colman, Jessie Buckley, Anjana Vasan, Joanna Scanlan, Gemma Jones, Malachi Kirby, Lolly Adefope, Eileen Atkins, Timothy Spall, Hugh Skinner, Paul Chahidi
Kamera: Ben Davis
Schnitt: Melanie Ann Oliver
Musik: Isobel Waller-Bridge

Die englische Küstenstadt Littlehampton, 1920: der 1. Weltkrieg ist vorbei, die Einen sind durch persönliche Verluste hart und verbittert, andere sehnen sich nach neuen, freieren Zeiten voller Lebensfreude. Im Zentrum der Geschichte stehen zwei benachbarte Frauen, die wohlanständige Edith und die wüst-lautstarke Rose. Einst waren sie Freundinnen, doch das hat nicht funktioniert, zu groß waren die Unterschiede, und Edith konnte ihre Mission, Rose zu einer braven Bürgerin umzukrempeln, nicht erfolgreich beenden. Also beäugt man einander mit Missgunst. Dann geschieht es: Schmähbriefchen, obszön, beleidigend, derb formuliert, flattern ins Haus von Edith und ihren gestrengen Eltern. Und die Swans sind nicht die einzigen Betroffenen, die dieser frühen Form des Shitstorms ausgesetzt sind. Schon sehr bald kommt wegen des unübersehbaren Verdachts Rose ins Gefängnis, derweil sie die Tat vehement abstreitet. Allein die erste weibliche Polizeibeamtin jener Zeit, Gladys Moss, möchte dem Fall fair und akribisch nachgehen - immer argwöhnisch beäugt von ihren männlichen Kollegen.

Schmutzige Kleine Briefe ist eine kleine Filmperle, die teuflisches Vergnügen bereitet. Hier steckt Liebe und Können in jedem Detail. Besonders Colman beim Ausspielen einer Frau, die zwischen bigotter Falschheit und Hass gegen die eigene Familie schier auseinandergerissen wird zuzusehen, ist elektrisierend. Alle weiteren im Cast spielen selbstverständlich auf Augenhöhe, und endlich sieht man Colman und Jessie Buckley nach Frau im Dunkeln gemeinsam vor der Kamera agieren, was glänzend funktioniert. Die an sich kleine Anekdote (wahre Geschichten sind doch immer noch die besten) funktioniert auf vielen Ebenen: als spannendes Figurenkarussell (die Beamtin beispielsweise vereint die konträren Wesenszüge der beiden Rivalinnen in sich und ist darum auch hoch motiviert, objektive Gerechtigkeit herzustellen), einen wichtigen Moment in der Historie des Feminismus', wo Frauen begannen, den Kopf zu recken und sich lautstark für ihre Rechte einzusetzen.

Glücklicherweise sind auch Kamera, Kostüm, Bauten und Musik wie handverlesen, glänzend recherchiert und umgesetzt: jedes Bild, jeder Blick und jeder Ton ein Hochgenuss. - Dass das Thema Rassismus quasi ausgeblendet wird, im Gegenteil sogar People of Color besetzt werden und ihre Figuren im Film keinerlei Diskriminierung erfahren, hat mich beschäftigt, das hätte qua Buch etwas geschickter / wahrheitsgemäßer umgesetzt werden können. Andererseits könnte man sagen, dass mit einer solchen Entscheidung dem heutigen Rassismus u.U. subtil entgegengewirkt werden kann.

Die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen. Unterhaltsamer, prickelnder und pointierter ist diese Wahrheit fürs Kino seit langem nicht umgesetzt worden. Mein Tipp, ohne jede Frage. 

cnm 


Dies ist meine 1000. Kurzkritik.
Danke fürs Lesen! :-)

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